Vor 80 Jahren:"Stadtspaziergang 1938"

(Dieser Vortrag wurde am 15.10.2018 um 19:30 Uhr wiederholt, da am 8.10.18 nicht allen Besuchern ein Sitzplatz gegeben werden konnte.)

Die Museumsfreunde konnten Manfred Kielhorn gewinnen, am 8. Okt. 2018 um 19.30 Uhr einen Vortrag im Biedermeierzimmer des städtischen Museums zu halten. Kielhorn, der über die heimische Geschichte stets Interessantes zutage fördert, möchte mit Gästen eine Zeitreise unternehmen.  
Im Jahre 1938 – genau vor 80 Jahren – inmitten der NS-Gewaltherrschaft und nur ein Jahr vor Beginn des Weltkrieges II hat ein unbekannter Fotograf (oder eine unbekannte Fotografin) einen „Stadtspaziergang“ in Bad Gandersheim unternommen. Die hierbei entstandenen Aufnahmen wurden kürzlich aus einem Nachlass in München angeboten und konnten dort vom Vortragsreferenten Manfred Kielhorn erworben werden. Nun soll es Gelegenheit geben, diese Aufnahmen – ergänzt um Informationen - erstmals öffentlich per Beamer-Projektion auf Leinwand zu sehen. Es sind Aufnahmen von Gebäuden, Straßenzügen, Kuranlagen und mehr. Vieles hat sich seither verändert. Manches ist komplett verschwunden. Der Foto-Spaziergänger des Jahres 1938 war offensichtlich gut vorbereitet auf seine Exkursion und hat sich gezielt durch die Stadt bewegt. Obwohl touristisch orientiert hat der Bildermacher aber auch den Blick für den Alltag in einer norddeutschen Kleinstadt jener Tage gehabt. Die Bleistift-Nummerierung auf der Rückseite eines jeden Originalbildes zeigt uns auch 80 Jahre später die Wegstrecke des Fotografen - vom Bahnhof aus durch die Altstadt in das auch schon damals vorhandene Kurviertel. Die Bilderserie des Jahres 1938 mit ihren Straßen- und Gebäudeansichten ist eine Momentaufnahme, die ihre Wertigkeit posthum auch dadurch erlangt, dass sie als Sequenz der Stadtgeschichte nachbetrachtend auch ein Stück örtlichen Zeitgeist reflektiert.

Die Museumsfreunde würden sich über eine rege Beteiligung bei freiem Eintritt sehr freuen. Spenden werden gerne angenommen.
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Bericht im Gandersheimer Kreisblatt am 22.10.18 von H. Smidt über den Vortag "Vor 80 Jahren: Ein Spaziergang durch die Stadt", gehalten von Manfred Kielhorn im Mueum.
Die Museumsfreunde hatten wieder einen guten Griff getan, als sie Manfred Kielhorn gewinnen konnten, ein einst bei einer Versteige- rung im Internet in München erworbenes Konvolut von ca. 60 Foto-grafien aus der Zeit vor  ca. 80 Jahren im Rahmen eines Vortrages im Museum zu präsentieren. Konnte der erste Vortragstermin we-gen Überfüllung des Biedermeierzimmers von vielen Interessenten mangels Platz nicht wahr genommen werden, so war die Wieder-holung eine Woche später nicht weniger “ausgebucht“.  Der Vortra-gende berichtete von der Geschichte des Erwerbs der Bilder für einen Spottpreis. Dabei versetzte er sich in die Lage des damaligen Reisenden, der, so wie es die  Bilder zeigten, ein guter Beobachter und zielgerichteter Wanderer in unserer Stadt gewesen sein muss. Es kann natürlich auch eine Frau gewesen sein, das blieb im Dunklen, denn allzu viele Informationen über die Person, die da-mals durch Gandersheim spazierte, gibt es nicht. Wir kennen weder Namen noch Herkunft. Anhand der Bilder und vergleichender  Aufnahmen aus dem Museum lassen jedoch darauf schließen, dass es sich um die Jahre 1942, 1943 oder 1944 gehandelt haben muss, als die gezeigten Bilder entstanden. Auch muss der oder die Reisende mit der Eisenbahn gekommen sein, denn die ersten Bil-der entstanden am Bahnhof und dann in der Moritzstraße. Ferner ließ sich aus den Aufnahmen ableiten, dass es Sommertage waren, denn die Sonne stand hoch am Himmel, die Schatten waren kurz. Der unbekannte Reisende nahm wohl im Hotel „Weisses Ross“ , das seinerzeit erste Haus am Platze, sein Quartier, denn es lässt sich anhand der Aufnahmen rekonstruieren, dass er aus dem 1. und 2. Stockwerk dieses  ehemaligen Hotels Bilder in Richtung Markt und Stiftskirche gemacht haben muss. Eine gewisse Verun-sicherung im Publikum entstand, da fast alle Bilder kaum Menschen auf den Straßen und Plätzen der Stadt zeigten. Auch Verkehr war praktisch nicht vorhanden. Es schien eine eigentümliche Stille und Leere in der Stadt zu herrschen. War es ein Sonntag? War es um die Mittagszeit? Immerhin entstanden die Aufnahmen mitten im Krieg. Gandersheim beherbergte damals viele verwundete Soldaten. Nichts davon zeigten die Bilder. Keine Uniformierten, keine Hitlerjungen, nur die Hakenkreuzfahne an der Ostfassade der Stiftskirche weist auf die politische Situation jener Zeit hin.  Der Fo-tograf ging damals sehr zielgerichtet auf alle wichtigen Teile der Stadt zu. Das  noch bestehende Solbad Roswitha konnte er auf-nehmen, ohne jedoch einen Kurgast zu zeigen, die Reichsmotor-sportschule war ebenfalls ein Objekt seiner Kamera. Ob er zu ihr gegangen ist, wissen wir nicht. Die damalige Badeanstalt -  der Sprungturm und andere  Materialien waren seinerzeit noch aus Holz -  war  ebenfalls Ziel seines Aufenthalts. Hier konnte er plan-schende Kinder aufnehmen, aber kaum Erwachsene. Wo waren sie? Auch der Burg stattete er einen Besuch ab, ebenso der Hildes-heimer Straße mit seinen Eisenbahnviadukten. Die Osterbergseen, die erst wenige Jahre zuvor als Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen der Regierung angelegt worden waren, besuchte der unbekannte Reisende wie auch die noch heute bestehende Grundschule. War er ein Werbefilmer? Wollte er Propaganda machen? Wohl kaum, denn die Prestige-Projekte wie die im Reich wohl bekannte Mo-torsportschule oder das  NS- Jugendheim  waren nicht vorrangige Ziele des Fotografen. Es bleibt so Manches im Verborgenen. Die zahlreichen Nachfragen aus dem  Publikum gaben zu vielen Spekulationen Anlass, konnten aber kein Licht in die Sache bringen. Manfred Kielhorn jedenfalls hat mit seinem Vortrag die Tage vor ca. 80 Jahren in unserer Stadt  in einem besonderen Licht aufscheinen lassen. Bei den Zuhörern waren Staunen und Rätsel die wesentlichen Reaktionen. Auf jeden Fall war alles sehr spannend. Frau Goslar, die allzeit rege Vortragswartin der Museumsfreunde, dankte Herrn Kielhorn für die Bilder und Worte und überreichte  eine gute Flasche Wein, damit er „sicher über den Winter kommt“  wie sie schmunzelnd bemerkte. Im gleichen Atemzug kündigte sie den nächsten Vortrag für den 12. November an. Dann wird Claus Schrader, der ausgewiesene Militärexperte bei den Museumsfreunden, das letzte Kriegsjahr des 1. Weltkriegs behandeln, also den Abschluss  zu der Sonderausstellung  „100 Jahre 1. Weltkrieg“  zu Gehör und Gesicht bringen. Auch den folgenden Waffenstillstand und seine katastrophalen Folgen wird sein Thema sein. Alle Interessenten sind bei freiem Eintritt herzlich eingeladen.

 

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Veröffentlichung

Mo, 24. September 2018

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